Abhandlungen

TOD – Ein Tabu?

von Michael Wolffsohn

Universalgeschichte des Todes

Der fremde, anonyme Tod ist allgegenwärtig. Was wäre unser Kino oder Fernsehen ohne Krimis und Tod, Einzeltod und Massentod, Ermorden und Erwürgen und Erschießen, Mord und Totschlag, mit oder ohne Bestattung, alles nicht friedlich, doch Endstation Friedhof? Zur Kulturgeschichte der Menschheit gehört die Angst vor dem eigenen Tod ebenso wie vor dem Tod des oder der geliebten Menschen. Im Banne dieser Ängste lebt der Mensch heute, lebte er immer. Rituale und Brauchtum vertreiben nicht den Schmerz, aber sie lindern ihn. Wir Menschen sehnen uns nach den Toten – und haben dennoch auch vor ihnen Angst und tabuisieren somit die Existenz der Toten. Wir lassen sie sozusagen ein zweites Mal sterben.

Weil wir nicht glauben, haben wir noch mehr als Gläubige Angst vor dem Tod und tabuisieren ihn. Wir betrügen uns dabei freilich selbst. Wie man stirbt, so lebt man. Und wenn man den eigenen Tod oder das mögliche Ableben der Nächsten und Liebsten und auch die Trauer tabuisiert, wird man immer einsamer und einsamer und einsamer, die Gesellschaft immer frostiger, das Leben immer weniger lebenswert.

Michael Wolffsohn schreibt eine packende Universalgeschichte des Todes und liefert eine schonungslose Analyse unserer Gegenwartskultur.

Leseprobe:

… Die Lüge vom Tabu des Todes ist eine Menschheitslüge, seit eh und je, von mittelalterlichen Ausnahmen abgesehen, und auch in jener Ausnahme-Epoche gab es Ausnahmen. Nicht nur (nur?) der Tod schreckte, sondern auch und besonders das Sterben: der aufs rein Körperliche zurückgeführte Mensch erschreckt nicht nur, er stößt ab, erst recht in einer Gesellschaft, in der Hygiene und Sauberkeit alles ist. Weil das Sterben nicht sauber ist, tabuisiert man auch die Sterbehilfe oder, besser noch: man tritt sie anderen ab; gegen Bezahlung, versteht sich, denn alles und jedes kann man für Geld bekommen. Nur nicht die Seele …