Romane

Familienflut

von Miklos Mesezöly

Miklos Mesezöly, einer der bedeutendsten Schriftsteller der zeitgenössischen ungarischen Literatur, hat mit diesem letzten Roman eine weiteres Stück zu jenem Epos vorgelegt, an dem er seit Jahrzehnten arbeitet, eine Reihe von Erzählungen und Romanen, die eine zusammenhängende Mythologie von Pannonien bilden. Das vorliegende Buch schildert das tägliche Leben von drei Generationen einer bürgerlichen Familie in einer Kleinstadt in Südungarn in den 20er Jahren dieses Jahrhunderts.

Leseprobe:

… Von eben diesem Spektakel waren Matinka und Iddi empfangen worden, als sie hereinplatzten. Hermina und Matinka hatten sich seit mindestens fünfzehn Jahren nicht mehr gesehen. Biborka trieb einen Lehnstuhl für Matinka auf, selbstverständlich konnte wegen des frühen Besuches nicht das Waschzeremoniell unterbrochen werden; es wäre auch nicht nötig gewesen. Sie kannten einander gut genug und fanden ohne jede Schwierigkeit sofort zu dem frotzelnden Ton zurück, den sie schon bei ihrer Bekanntschaft aneinander ausprobiert hatten – nicht eben im Zeichen gegenseitiger Sympathie. Wahrscheinlich war jede gespannt auf die Dramaturgie der Toleranz der anderen…

Romane

Der Mann im Unterhemd

von Zafer Senocak

„Jeder Mann möchte Lisa begegnen und hat Angst davor. Die wildesten entschlossendsten Aufreißertypen, die verschmitztesten Charmeure sind verschüchtert, fahren mit gesenkten Blicken in der Untergrundbahn. Warum schweigt die Gemeinde so hartnäckig? Glaubt jeder an ein zweites Mal, das es niemals geben wird? Wer hat die Gerüchte verbreitet, auf denen diese ganze Geschichte beruhte? Alles ist erfunden. Wie beruhigend diese Feststellung wäre, wenn nur nicht fast das ganze Leben aus Erfindungen bestünde.“

Leseprobe:

… Der Mann im Unterhemd lebte im Dreieck von Schreibmaschine, Meer und Frau. Sein Leben lang suchte er den rechten Winkel. Das Meer war die endlose Weite, die Vergesslichkeit. Die Frau war die endlose Nähe, die schrumpfte und zerfiel, um zu wachsen. Die Schreibmaschine war die Paarung. Immer wenn die Nähe der Frau so gewachsen war, dass der Mann im Unterhemd nicht mehr in sie hineinpasste, schiffte er hinaus in die Vergesslichkeit, kam als alter Mann zurück, paarte seine Fingerkuppen mit dem Papier und war wie neugeboren. Doch befand er sich in diesem Augenblick, zu dieser Stunde nicht im rechten Winkel, sondern im spitzen. Nur im rechten Winkel ist eine Frau dem Jäger nahe…

Romane

Der Erottomane

von Zafer Senocak

Ein Mann wird ermordet in der Spree aufgefunden. Seine Hinterlassenschaft: Manuskripte, die um erotische Abenteuer kreisen. Als Staatsanwalt, der mit diesem Fall betraut ist, diese Findelbücher an seinen befreundeten Schriftsteller weitergibt, versucht dieser, sich einen Reim auf sie zu machen. Wird es ihm gelingen, den Mord zu dechiffrieren?
Wie in Senocaks letzten Romanen steht auch diesmal wieder ein Berliner Schriftsteller im Mittelpunkt der Handlung. Da er sich von seinen Musen, den Frauen, verlassen sieht, will er eigentlich der Stadt den Rücken kehren und eine Reise nach Innerasien antreten. Doch die Findelbücher und der mysteriöse Mord, von dem ihm der Staatsanwalt erzählt, halten ihn davon ab. Er durchforstet die Bücher und stößt auf Figuren, die ihm bekannt vorkommen. Möglicherweise geschah der Mord im Verlauf sadomasochistischer Spiele im Rotlichtmilieu…

Leseprobe:

… Unter den Büchern fand ich einen Stadtplan aus dem letzten Jahrhundert. Er ist in einer Schrift geschrieben, die ich nicht lesen kann, aber ich habe die Stadt darauf wieder erkannt. Der Plan dient mir jetzt zur Orientierung. Die Stadt ist wie eine Krake, die sich auf das Meer gesetzt hat. Ich habe begonnen, alle Bücher über diese Stadt auf einem Regal zusammenzustellen, um dieser Stadt irgendwann einmal einen Namen geben zu können. Ihre bisherigen Nahmen, es sollen über hundert sein, sind ungültig. Man ist hierzulande heikel mit Namen. Er kann über Leben oder Tod entscheiden. Es ist üblich, dass man sich nicht vorstellt. Ich frage Ilija deshalb auch nicht nach seinem Namen…

Romane

Botenkindermorde

von Perihan Magden

Eigentlich ist er ja Schüler an einem Konservatorium. Aber seine Professoren haben ihn in eine Nervenheilanstalt eingewiesen, weil er den Schlafsaal in Brand setzte. Endlich wieder entlassen und zurück in seiner Heimat, sieht er sich unwillkürlich in die Aufklärung einer obskuren Mordserie verwickelt. Ihre Opfer: Geklonte Botenkinder, uniform wie die Straßenlaternen der Stadt. Der frisch gebackene Detektiv, der kein Detektiv sein will, treibt es wie weiland Humphrey Bogart. Er trinkt Whiskey und liest alte Filmzeitschriften, trifft divenhafte Zwerge, Spermaspender und eine Frau, in die er sich glatt verlieben könnte, wenn er sich nur trauen würde.

Romane

Zungenentfernung

von Zafer Senocak

Berichte aus der Quarantänestation
1961-2001, das sind vierzig Jahre Einwanderung von Türken nach Deutschland. Zeit für eine Abrechnung. Zafer Senocak, durch seine Essaybände „Atlas des tropischen Deutschland“ und „War Hitler Araber?“ über Deutschland hinaus bekannt, legt hier ein Kaleidoskop amüsanter und grotesker Beobachtungen aus unserer Gegenwart vor. Das Verhältnis der Deutschen zu ihrer größten Minderheit, den Türken, kristallisiert sich als Dreh- und Angelpunkt einer neuen, heterogenen deutschen Identität. Berichtet wird aus der „Quarantänestation“ Deutschland, nach dem Motto: Vierzig Jahre Quarantäne sind genug. Jetzt sollte man das Schiff verlassen und an Land gehen.