Gedichte

Fernwehanstalten

von Zafer Senocak

wir nach Angstschweiß riechenden Männer
beißen in rohe Zwiebeln
laden unseren Schlaf auf zügellose Rösser
mit wachen Augen visieren wir den Tagesanbruch
wie ein Athlet reißt er am Horizont den Vorhang auf
doch er wird jung sterben der Starke
und die langen grünen Stiele frischer Zwiebeln faulen wir nach Angstschweiß riechenden Männer sind dann längst über alle Berge

Fachbücher

Republik und Schleier

von Nilüfer Göle

Der Schleier beziehungsweise das Kopftuch der jungen islamischen Frauen scheint die Frontlinie zwischen westlicher Moderne auf der einen und traditionellem Islam auf der anderen Seite zu symbolisieren.
Die renommierte junge türkische Soziologin Nilüfer Göle geht der Frage nach, wie Sexualität und Politik in der Türkei – dem islamischen Land, in dem Moderne und Laizismus am stärksten forciert wurden – über die Frauenfrage miteinander verknüpft sind und wie das Thema von den verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen – von westlich Orientierten und islamitisch Orientierten, von islamitischen Frauen und islamitischen Männern – diskutiert wurde und wird…

Leseprobe:

… von Ehemännern, die das ungerührt lässt, von Tomatenmark kochenden Nachbarinnen, von einem monotonen Alltag, der mit schlechten Gerüchen erfüllt ist, und von einem abgestumpften Eheleben, das bei der Frau Überdruss, Zorn und Hoffnungslosigkeit hervorruft. Ihre durch den Schleier zu Schau getragene radikale islamitische Identität steht für den Wunsch, sich von diesem eintönigen Leben zu verfreien und anders zu sein. „Ihr gehört nicht zu jenen, die nach der Arbeit einen Drink herunterspülen, die andächtig in die leuchtenden Schaufenster starren…

Fachbücher

Atlas des tropischen Deutschland

von Zafer Senocak

Die Deutschen nehmen sich zunehmend in jenem Vakuum wahr, das sie seit der Kapitulation des Dritten Reiches zu füllen versuchen. Sie schwanken auf unsicherem Boden und suchen nach den fehlenden Jahren. Ihre Vergangenheit jedoch trübt die Sicht wie Nebel. Biographien werden austauschbar. Gesichter verschwinden in den Massen. Die Masse ist eine Maske der Körper. Sie lebt in Deutschland nicht in der Gegenwart, bewegt sich nicht in die Zukunft, sondern verharrt in der Vergangenheit, erstarrt genau in jenem Moment, in dem der Film riss. Seitdem bestimmt der Schatten die Größe des Körpers.

Fachbücher

Der gebrochene Blick nach Westen

von Zafer Senocak

Die jüngsten Debatten um zeitgenössische Kultur in der Türkei werden hierzulande kaum registriert. Künstler, Wissenschaftler und Journalisten aus der Türkei reflektieren in diesem Sammelband den Standort und die Perspektiven einer westlich orientierten türkischen Kultur. Konflikte und Probleme werden offen und kritisch thematisiert. Dadurch wird für den Außenstehenden das kulturelle Spannungsfeld, in dem sich die Türkei zwischen Europa und Asien befindet sichtbar gemacht.

Fachbücher

Das Land hinter den Buchstaben

von Zafer Senocak

Deutschland und der Islam im Umbruch
Wer heute das Gespräch mit Muslimen sucht, sollte sich an die Geschichte erinnern und nicht so tun, als sei das christliche Erbe Europas identisch mit den Werten der Aufklärung. Das christliche Abendland hat ähnlich wie das muslimische Morgenland eine in sich wider- sprüchliche Kultur hervorgebracht, die sowohl wortgetreue und dogmatisch fixierte Lesarten der Glaubensüber-lieferungen als auch freie Interpretation, sowie die künstlerische, ästhetische Umsetzung des religiösen Erbes umfasst. Wie töricht ist es heute, angesichts dieser Komplexität, den Islam jenen Kräften zu überlassen, deren kultureller Analphabetismus und arrogante Ignoranz Gewalt und Barbarei produzieren. Der muslimische Analphabetismus und die christliche Arroganz gepaart mit beiderseitiger kultureller Amnesie schaffen ein verzerrtes Bild der islamischen Kultur, reduziert auf das Kopftuch und das bluttriefende Schwert des Dschihad.

Fachbücher

Europe Türkiye

Die neue Rolle der Türkei zwischen Europa und Asien

Das vorliegende Buch ist der erste Band eines Periodikums für den europäisch-türkischen Dialog – EuropeTürkiye.

Initiiert und getragen wird EuropeTürkiye von EATA (European Assosiation of Turkish Academics), einem europaweiten Verband von türkischen Akademikern, Studenten und Berufstätigen, die – zumeist in Westeuropa geboren oder zumindest dort aufgewachsen – der so genannten „Zweiten Generation“ angehören.

Leseprobe:

… Es gibt keine fundamentalen Erosionsprozesse im deutsch-türkischen Verhältnis, deren Psyhogramm mit großer Sorge gezeichnet werden müßte. Noch immer gibt es eine Freundschaftsbasis und Antriebskräfte für den Ausgleich zeitweiser Irritationen, die von bemerkenswerter Dimension sind. Es ist aber gleichwohl ein Punkt erreicht, an dem wir uns fragen müssen, ob wir im deutsch-türkischen Verhältnis nich allzuviel als selbstverständlich hingenommen haben. Wir haben auf der einen und anderen Seite verkannt, daß auch alte enge Freundschaften sorgfältiger Pflege bedürfen, daß sie nicht statisch gesehen werden dürfen, sondern an neue dynamische Entwicklung anzupassen bzw. wiederzubegründen sind und daß sie wegen der gegenseitigen hohen Erwartungshaltungen – die Erwartungshaltungen besonders auf türkischer Seite – kritikanfällig und fragil sein können. …

Erzählungen

Spleen Berlin 1

von Wolfgang Heyder

„Er wusste aus langer Berufserfahrung, wie wichtig junge hübsche Mädchenleichen für das Zustandekommen spannender Stories sind. Demonstrativ zog er das Spleen-Barometer aus dem Diplomatenköfferchen. Ergebnis, wie erwartet: Das digitale Verstimmungsfrühwarnsystem schwieg. Spannungsbogen steigend, statistisch-imaginär hochgebogen steigend, statistisch-imaginär hochgerechnete Leserbeteiligung: circa 75%. Noch keine Abschaltquote. Nur die Situationskomik hätte etwas besser ausfallen können. Er würde sich Mühe geben müssen, die Diagonalleser bei der Stange zu halten.“

Leseprobe:

… Ich wollte zurück nach Berlin. Ich hatte Heimweh nach Havel und Spree und nach meinen Berlinern. Nachdem ich alliierten Truppen bei Waterloo, in der Schlacht von Belle Alliance, den kleinen Korsen endgültig besiegt hatten und in Paris einmarschiert waren, wurde ich unter lautem Jubel der preußischen Bevölkerung über Lüttich, Aachen, Düsseldorf, Elberfeld, Braunschweig und Potsdam mit Kränzen, Girlanden, Gedichten, mit Sinnsprüchen und Inschriften aller Art zum Willkommen geschmückt, unter Kanonendonner, Glockengeläut, behängt mit Tüchern und Flaggen, vom preußischen Volke auf dem ganzen langen Weg, ihrer neue gewonnenen Freiheit wegen, bejubelt und nach Berlin zurückgebracht…

Erzählungen

Luja und Prost

von Edgar Forster

Von bayrischer Biergaudi und Wirtshäusern.
Wirtshaus und Kirch gehören in Bayern zusammen. Luja und Prost, sind die Freudenrufe in diesen beiden Häusern. Die Symbiose von Kirche und Wirtshaus, ausgedrückt in räumlicher Nähe, kann der aufmerksame Reisende in vielen Ortschaften Bayerns beobachten. Auffällig ist das bei den Wallfahrtsorten. Dass es zwischen den Beherrschern beider Häuser, dem Pfarrer und dem Wirt, gelegentlich zu Differenzen kommt, ist verständlich, aber man gibt in Bayern dem Pfarrer, was des Pfarrers ist und dem Wirt, was des Wirtes ist. Der eine herrscht vor Ort über das himmlische Reich, der andere über das irdische Paradies. Aber der Wirt besucht den Pfarrer und der Pfarrer den Wirt. Die Gäste auf Erden sind Gäste im Gotteshaus und Gäste im Wirtshaus gleichermaßen.

Leseprobe:

… Unbeeindruckt sagte mein Schwager: “ Was soi’s, fahr ma los!“ Der Pater stieg in das Führerhaus und klemmte sich hinter das Lenkrad. „Ham’s Angst?“ fragt mitfühlend der Prüfer. „Na“, sagte der Prüfling-Pater, „des is alles göttliche Vorsehung, des wird scho alles richtig, wia’s a nausgeht.“ Der Pater startet den Lastwagen und fuhr zum Kloster hinaus und siehe da, da war ein Schwerlasttransport, der langsam vor sich hinkroch. Überholen war unmöglich, Wenden auch. Der Laster mit Prüfling und Prüfer durfte dahinter herzuckeln. Der Prüfer musste aber bald wieder in Landsberg sein, der nächste Prüfungskandidat wartete schließlich schon. Ein Umweg war unmöglich. Auch war eine denkbare umleitende Straße gesperrt. Eine Prüfung dauert 45 Minuten und durfte keine Minute länger andauern. Der Pater schlich hinter dem breiten Tieflader her und bald hatte er seinen Führerschein redlich und rechtlich einwandfrei durch Kriechfahrt erworben, „des is die göttliche Fügung, da kenna mir Erdenmenschen gar nix macha!“…

Erzählungen

Der Kochwirt

von Bora Cosic

Essay

Zu den vorliegenden Essays schreibt Karl-Markus Gauß in seinem Nachwort: „Ausgerechnet ein Meister der Verwandlungen aber, der nichts allein als artifizielles Spiel zu lieben schien, ein Zauberer, der mit Spiegelungen und Berechnungen, mit dem richtigen und dem falschen Zitat seine Kunststücke trieb; ausgerechnet der Ironiker, der sich hütete, den Dingen gleich mit ihrem Geheimnis und der Welt mit seiner Moral zu kommen, Bora Cosic also, hat sich als Zeuge bewährt. Das ist merkwürdig und lehrreich. Er, der seiner Zeit weder grimmig die Leviten lesen noch sich eitel als Prediger über sie erheben wollte, hat sich in seinen Essays der Wirklichkeit gestellt; also auch dem Wahnwitz, der Selbstlüge, dem Blendwerk der Ideologie, der Phrase der Propaganda (die immer auch eine Propaganda der Phrase ist), dem Rauschen der großen, unablässig sirrenden Wortmaschine.“

Leseprobe:

… Diese ganze Allee der modellierten Basiliken und Paläste ist für mich ein Gedichtband, dessen einzelne Nummern in erhabener Muße und ohne Neurose angefertigt wurden, wie auch unser Opa sein slawonisches Häuschen gebaut hatte, das bis in meine Tage überlebt hat. Das Häuschen erinnert mich jetzt an eine virtuelle Möglichkeit des Lebens im Kleinen, das es in der Menge der kosmischen Verdrehungen und Umkehrungen auch geben könnte. Es steht  nirgends geschreiben, dass die Dimenseionen unserer Körper, und dementsprechend der Häuser, in denen diese Körper hausen, jener planetarische Standard sind, der einzig richtige und erwartete. Vielleicht sind unsere Maße gar nicht die richtigen, und vielleicht sind wir eigentlich viel winziger, als wir denken, und die Modelle, ob kirchlich oder nicht, hätten uns dabei eine wertvolle Warnung sein können. Unsere Dimensionen sind zu stark betont und ungerecht forciert, und der Modellmeister, der seine Basilika kleiner baut als er selbst ist, denkt vielleicht daran. …

Erzählungen

Das barocke Auge

von Bora Cosic

Essay

Zu den vorliegenden Essays schreibt Karl-Markus Gauß in seinem Nachwort: „Ausgerechnet ein Meister der Verwandlungen aber, der nichts allein als artifizielles Spiel zu lieben schien, ein Zauberer, der mit Spiegelungen und Berechnungen, mit dem richtigen und dem falschen Zitat seine Kunststücke trieb; ausgerechnet der Ironiker, der sich hütete, den Dingen gleich mit ihrem Geheimnis und der Welt mit seiner Moral zu kommen, Bora Cosic also, hat sich als Zeuge bewährt. Das ist merkwürdig und lehrreich. Er, der seiner Zeit weder grimmig die Leviten lesen noch sich eitel als Prediger über sie erheben wollte, hat sich in seinen Essays der Wirklichkeit gestellt; also auch dem Wahnwitz, der Selbstlüge, dem Blendwerk der Ideologie, der Phrase der Propaganda (die immer auch eine Propaganda der Phrase ist), dem Rauschen der großen, unablässig sirrenden Wortmaschine.“

Leseprobe:

… Diese ganze Allee der modellierten Basiliken und Paläste ist für mich ein Gedichtband, dessen einzelne Nummern in erhabener Muße und ohne Neurose angefertigt wurden, wie auch unser Opa sein slawonisches Häuschen gebaut hatte, das bis in meine Tage überlebt hat. Das Häuschen erinnert mich jetzt an eine virtuelle Möglichkeit des Lebens im Kleinen, das es in der Menge der kosmischen Verdrehungen und Umkehrungen auch geben könnte. Es steht  nirgends geschreiben, dass die Dimenseionen unserer Körper, und dementsprechend der Häuser, in denen diese Körper hausen, jener planetarische Standard sind, der einzig richtige und erwartete. Vielleicht sind unsere Maße gar nicht die richtigen, und vielleicht sind wir eigentlich viel winziger, als wir denken, und die Modelle, ob kirchlich oder nicht, hätten uns dabei eine wertvolle Warnung sein können. Unsere Dimensionen sind zu stark betont und ungerecht forciert, und der Modellmeister, der seine Basilika kleiner baut als er selbst ist, denkt vielleicht daran. …