Erzählungen

War Hitler Araber?

von Zafer Senocak

Der Experte muss ständig übersetzen. Er tut es, indem er sich distanziert. Je weiter er von seinem Objekt entfernt ist, umso besser versteht er es. Die Distanz macht es auch möglich, alle Elemente, die ihn bei sich an den anderen erinnern könnten, zu verdrängen. Durch die Dämonisierung des „Anderen“, das auch immer gewalttätig ist, wird Gewalt exotisiert, eigene Gewaltpotentiale werden verdrängt. Ein aufgeklärter Europäer kann Saddam Hussein natürlich nicht sein. Doch war Hitler ein Araber?

Romane

Zungenentfernung

von Zafer Senocak

Berichte aus der Quarantänestation
1961-2001, das sind vierzig Jahre Einwanderung von Türken nach Deutschland. Zeit für eine Abrechnung. Zafer Senocak, durch seine Essaybände „Atlas des tropischen Deutschland“ und „War Hitler Araber?“ über Deutschland hinaus bekannt, legt hier ein Kaleidoskop amüsanter und grotesker Beobachtungen aus unserer Gegenwart vor. Das Verhältnis der Deutschen zu ihrer größten Minderheit, den Türken, kristallisiert sich als Dreh- und Angelpunkt einer neuen, heterogenen deutschen Identität. Berichtet wird aus der „Quarantänestation“ Deutschland, nach dem Motto: Vierzig Jahre Quarantäne sind genug. Jetzt sollte man das Schiff verlassen und an Land gehen.

Poesie

Weiter Stein – Weites Herz

von Kostas Giannakakos, Christian Greiff

Moderne Griechische Poesie
Ein griechischer Vers, in dem die Götter noch im Plural leben und in dem jeder Tag mit dem Farbenspiel des Sonnenaufgangs beginnt: „Götterfreude, der griechische Tag bricht durch Rosen herauf!“ Im Griechenland des 19. und 20. Jahrhunderts gibt es einen großen poetischen Aufschwung, den die hier ausgewählten zweihundert Gedichte bezeugen. Sie wurden alle neu übersetzt und sind zum großen Teil noch nicht auf Deutsch erschienen. Lernen Sie Griechenland auf andere Weise kennen – in Texten, die gern die antiken Stoffe aufgreifen, während sie moderne Geschichte und Empfindungen darstellen. „Weiter Stein – Weites Herz“ ist eine Sammlung lebensvoller Poesie, die ihren eigenen Beitrag leistet zum Hauptwerk der Kunst, dem Menschenbild.

Leseprobe:

Die Nacht
Wenn es Mitternacht schlägt, eile nicht
Das Fenster zu öffnen. Zu jener Stunde
Kehren die Leute heim von den Theatern
Und Mädchen lassen sich lieben im Dunkeln.

Wenn es Mitternacht schlägt, ist es noch nicht Nacht.
Stolze Generalsuniformen drehen sich im Tanze
Und Beamtensfräcke verbeugen sich
Vor blütenbesteckten leeren Kleidern.

Wenn es Mitternacht schlägt, ist es noch Tag
Und deine Augen vertragen nicht so viel Licht
Und nicht der Menschen beleuchtete Gesichter.

Du musst viel Geduld haben. Und wenn du sicher bist
Dass alles in die Schränke gegangen ist,
Dass die Melodien eingewickelt sind
Und in ihren Instrumenten schlafen,
Dann öffne sacht das Fenster und schaue…

Ortsanschauungen

Kathole oder Sozi?

von Edgar Forster

Der Autor Edgar Forster schildert seine Kinder- und Jugendjahre in verschiedenen Regionen Bayerns. Angefangen mit Schulstreichen spürt man zunehmend den Geist der Rebellion, der die späten 60er Jahre kennzeichnet.
Die großen Weltanschauungen des Katholizismus und Sozialismus machen auch vor den Mikrokosmos bayerischer Kleinstädte nicht Halt. Edgar Forster zeigt in seinen Ortsanschauungen wie diese ideologischen Auseinandersetzungen auf lokaler Ebene zum Teil in lustigen, zum Teil in lächerlichen Episoden ihren Ausdruck finden. Don Camillo und Peppone gibt es eben auch in Bayern.

Märchen

Leyla und Medjnun

von Aras Ören, Peter Schneider

Der Zenne zieht aus einem Stapel eine Karteikarte hervor, studiert sie.
Heute restaurierte ich LM-88714, eine Geschichte aus dem fernen Orient, meine letzte Verschwundene, Wer außer mir kennt sie, wer wird sie vermissen? Wer wird euch hören, wer mit euch streiten, wen solltet ihr rühren, Leyla und Medjnun? Nützt die Zeit, die ich euch gebe, wehrt euch, widerlegt, überwältigt mich, sucht für eure Geschichte einen anderen, einen glücklichen Schluss. Denn in zwei Stunden seid ihr wieder Papier.
Der Zenne zieht den Vorhang auf. Auf der Bühne liegen und kauern die Mitspieler des Stücks, bewegungslos. Der Zenne nähert sich ihnen mit einer Karteikarte, spricht ihnen Stichwörter zu: Locken… Anmut… Her…. zu singen…. Ruine nieder… die alten Lieder…. mich Armen wieder. Leyla und Medjnun nehmen die Stichworte auf, aus den Worten entsteht ein Duett.

Literaturzeitschriften

Sirene. Zeitschrift für Literatur

Band 20 und 21/1999

In diesem Heft lesen Sie Beiträge von:
Dunja Bialas, Ismail Cho’i, Sabine Gass, Stammatis Gerogiorgakis, Costas Gianacacos, Christian Greiff, Franz J. Herrmann, Wolfgang Heyder, Berkan Karpat, Pinar Gür, Silvana Schneider, Zafer Senocak, Helmut Vakily

hey liebe ferne freunde
in diesem haus mag ich nicht länger kommen was nicht gehört: die identität das schönste im leben ist das was wir lieben

Mein Herz war müde des Klosters, zur Schenke kommt es und staunt, Wohin ist der Wein gekommen, und die ihn tranken, wohin? Hafis (1330 -1389)

Literatur

Wie die Spree in den Bosporus fließt

von Aras Ören, Peter Schneider

Sommer 1990. Berlin im Taumel der Wiedervereinigung.
Aras Ören, ein Istanbuler in Berlin, schreibt an Peter Schneider, der sich in dieser Zeit in Istanbul aufhält. Lyrische Essays in Briefform, die Peter Schneider zu Antworten provozieren. „Wie die Spree in den Bosporus fließt“ dokumentiert den Beginn eines Dialogs eines Dialogs zwischen den beiden Schriftstellern zu aktuellen existentiellen Fragen, zu Kulturen, Wertvorstellungen … Ein Dialog, der – so fragmentarisch wie er ist – zum Weiterdenken einlädt.

Leseprobe:

… Lieber Peter,
wie viel Kilo wiegt die Liebe? Oder: wie viel Zentimeter misst der Egoismus?
Weißt du gar wie viel Atü Hochmut hat?
Und Freiheit und Demokratie und die Grundrechte – wie viel Joules?

Klingt das abwegig? Oder führen uns nicht Positivismus und Rationalismus zu diesen Fragen? Wenn Maße absolut sind und wenn alles mit allem vergleichbar sein soll…

Kurzgeschichten

Frosch im Hals

von Luiz Vilela

Die Menschen in Luiz Vilelas Kurzgeschichten befinden sich in entscheidenden Situationen, an toten Punkten oder möglichen Wendepunkten oder im Leben. Es sind Geschichten vom Scheitern, das nicht als solches ausgewiesen ist. Luiz Vilela beobachtet den Alltag meist einsame Menschen und zeigt ihre kleinen Dramen auf, die eigentlich die wirklich großen im Leben eines jeden sind.
„Er blieb allein am Tisch zurück, allein mit dieser Vergangenheit, für die er keine Vergebung erhalten hatte. Was sollte er noch tun? Er hatte getan, was er konnte. Er konnte nichts weiter tun. Aber, überlegte er, es stimmte. Ja, so war es. War er nicht auch ein Opfer? Also sollte er sein Leben lang diese Reue hinter sich herziehen, genauso wie der andere sein Bein.“

Leseprobe:

… Eine große Truhe: Da mussten viele interessante Sachen begraben sein. Ich hob den Deckel: leer. Dahinter stand ein an die Wand gelehnter, eigenartig geformter Holzkasten, ein Geigenkasten. Das war der aufregendste Moment dieses Abenteuers, das meine Neugier bisher nicht besonders angestachelt hatte; die Geige jedoch versöhnte mich. Ich brachte den Geigenkasten in den helleren Teil des Kellers und machte ihn auf: Innen war er mit violettem Filz ausgeschlagen: ein Sarg. Beim Öffnen fühlte ich, wie etwas seit langem Totes und Eingesperrtes mit dem Licht plötzlich wieder erwachte und jetzt darauf drängte, aus dem Keller in das Leben voller Luft, Klang und Helligkeit zurückgeholt zu werden…

Kochbücher

Türkische Köstlichkeiten I

Wenn auch Sie das Geheimnis entdecken möchten, warum der Imam in Ohnmacht fiel, dann sollten Sie sich das soeben erschienene Kochbuch „Türkische Köstlichkeiten I“ nicht entgehen lassen. Das Buch gewährt es dem Leser sowohl einen Einblick in die Geschichte und Kultur als auch in die Praxis der türkischen Küche. Der Band beinhaltet 88 Farbfotos in hoher Druckqualität  und besteht aus zwei Teilen.
Im ersten Teil werden die Geschichte und vor allem die Vielfalt der traditionellen Zubereitung türkischer Speisen beschrieben. In diesem Kapitel wird unter anderem von Essgewohnheiten bei türkischen Sitten und Bräuchen berichtet. Ergänzt wird der erste Teil durch eine Liste besonderer Zutaten und Gewürze. Die genauen Erläuterungen zu verschiedenen Speisen und ihrer Zubereitung, sowie die Erläuterungen zur Geschichte des Osmanischen Reiches, lassen den Leser in die türkische Ess- und Küchenkultur eintauchen. Der zweite Teil des Buches widmet sich ausschlie_lich den Rezepten, wobei die Gerichte so ausgewählt wurden, dass sie die Hauptrichtungen der türkischen Küche repräsentieren: Suppen, Salate, Vorspeisen, Fische, Fleisch- und Gemüsegerichte, Reis- und Teigwaren sowie Sü_speisen. Da diese Speisen von verschiedenen Personen zubereitet, die Zutaten und Arbeitsschritte genau protokolliert wurden und danach die Protokolle von Fachleuten in Rezepte umgeschrieben wurden, ist ein leichtes Nachkochen garantiert.

Leseprobe:

… Von den etwa vierzig Gemüsesorten auf der ganzen Welt – außer den regionalen Spezialitäten – wird ein Großteil in der Türkei angebaut. Zwei Abschnitte in der Geschichte waren für das Gemüse von großer Bedeutung:
Die Entdeckungsreisen und der sich daraus entwickelnde Welthandel zwischen dem 14. und 18. Jahrhundert bescherten u. a. auch der türkischen Küche Zutaten, ohne die die meisten türkischen Gerichte nicht denkbar sind. Man denke nur an Tomaten oder Kartoffeln.
Der zweite Wendepunkt kam im 19. Jahrhundert mit der Entwicklung der Technik. durch neue Konservierungsmethoden, den Bau von Gewächshäusern und die Erweiterungen der Transportmöglichkeiten, aber auch durch die Methode des Tiefkühlens kam das Gemüse in alle Küchen und in viele Gerichte. Die Art des gesunden Kochens und die weltweit zunehmende Zahl der Vegetarier führten zur Popularität von allen Gemüsesorten. …

… Die Ofenform mit der Hälfte der Teigblätter auslegen und die Nussmischung darauf verteilen. Die restlichen Teigblätter darauf legen. Den Nusskuchen mit einem scharfen Messer in der Form in kleine Rauten schneiden. Die restliche Butter …

Kinderbücher

Caspar, Melchior & Balthasar

von Franz J. Herrmann

Illustrationen: Jan Richter

Jan Richter arbeitet als freiberuflicher Zeichner und Illustrator in München.
Franz J. Herrmann lebt und arbeitet als Redakteur, Journalist und Autor in München. Er hat bislang Gedichtbände, Kolumnen und Erzählungen veröffentlicht.

Leseprobe:

… Auch zum Schmusen nicht. Es ist eben, wie es immer ist, wenn die Augusta Treverorum verlassen müssen. Nur heute findet Caspar es ganz besonders schlimm. Gestern noch wurde er vom Publikum wie ein kleiner Star gefeiert. Denn diesmal durfte auch er in der Manege stehen. Caspar hatte seinem Papa all die Utensilien gereicht, die ein Löwenbändiger braucht: die züngelnde Peitsche, die brennende Fackel und natürlich Hassans purpurroten Mantel…